Gleimhaus
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gleim war in seiner Zeit ein populärer Dichter. Seine Gedichtsammlung „Versuch in Scherzhaften Liedern“ (1744/1745) ist eines der bedeutendsten frühen Dokumente der deutschen Anakreontik. Seine Romanzen (1756) wirkten auf die Balladendichtung derSturm-und-Drang-Generation. Seine Preußischen Kriegslieder (1757/58) waren ein Meilenstein im Bemühen, das Volkstümliche in die deutsche Dichtung zu bringen. Seine Fabeldichtungen sind bis heute in Schulbüchern zu finden. Gleichwohl erscheint Gleim aus moderner Sicht eher als Übergangsfigur in der deutschen Literaturgeschichte. Von den neueren literarischen Entwicklungen seit den 1770er Jahren wurde er überholt. Überragende Bedeutung besitzt er bis heute als Mäzen, Sammler und Exponent desFreundschaftskults seiner Zeit. Gleim kam 1747 nach Halberstadt, um hier „Domsekretär“, d. h. Verwalter des Domstifts, zu werden. Getragen von einer sozialethisch orientierten Freundschaftsidee schuf Gleim ein Netzwerk literarischer Kommunikation und machte Halberstadt zu einem literarischen Zentrum Deutschlands.
Die Sammlungen
Gleims Sammlungen sind gekennzeichnet durch einen einmaligen Zusammenhang von Bild, Buch und Brief und stehen im Dienst seines intensiven Freundschaftskults; durch ihr Porträt, ihre Werke und durch Briefe sollten die abwesenden Freunde vergegenwärtigt werden. Die Sammlungen gingen in den Besitz der „Gleim’schen Familienstiftung“ über und wurden testamentarisch zum öffentlichen Gebrauch vorgesehen.
Gleim hat die größte Porträtgemäldesammlung von Schriftstellern und bedeutenden Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts angelegt. Während er zunächst nur seine engeren Freunde malen ließ, weitete sich der Kreis der Dargestellten im Laufe der Jahrzehnte aus. Bei seinem Tod betrug die Zahl der Bildnisse etwa 150; heute bewahrt das Gleimhaus rund 130 Porträtgemälde von Persönlichkeiten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, darunter Bildnisse von Ewald von Kleist, Karl Wilhelm Ramler, Johann Joachim Winckelmann, Gotthold Ephraim Lessing, Klopstock, Anna Louisa Karsch, Sophie von La Roche, Elisa von der Recke, Johann Jakob Bodmer, Salomon Gessner, Herder, Wilhelm Heinse, Jean Paul. Zahlreiche der bedeutendsten Porträtisten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind mit einem oder mehreren Werken vertreten, so etwa Anton Graff, Jens Juel, Georg Oswald May, Benjamin Calau, Gottfried Hempel, mehrere Mitglieder der Familie Tischbein, Johann Friedrich Eich, Friedrich Georg Weitsch, Johann Heinrich Ramberg, Georg Friedrich Adolph Schöner.
Gleims intensive Geselligkeitskultur führte zu einem immensen Briefarchiv. Korrespondenten waren u. a. die Schriftsteller Lessing, Klopstock, Wieland, Ewald von Kleist und Herder, die Dichterin Anna Louisa Karsch, der Maler Bernhard Rode, der TheologeSpalding und der Ästhetiker Sulzer sowie das gräfliche Haus Stolberg-Wernigerode. Insgesamt enthält die Handschriftensammlung des Gleimhauses rund 10 000 Briefe aus über 500 Korrespondenzen von Gleim (Originale, Entwürfe und zeitgenössische Abschriften, davon über 2 000 von Gleim, ansonsten An-Briefe bzw. Briefe aus Korrespondenzen der Gleim-Freunde mit Dritten). Hinzu kommen über 1 000 Manuskripte (poetische Nachlässe von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Jakob Immanuel Pyra, Ewald v. Kleist, Johann Benjamin Michaelis; Teil-Nachlass von Anna Louisa Karsch; vereinzelte Manuskripte von Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Peter Uz, Lessing, Ramler, Heinse, Johann Heinrich Voß u. a.). Überdies finden sich vereinzelt persönliche Dokumente Gleims und seiner Familie, darunter etwa Tapetenreste aus Gleims Gartenhaus mit handschriftlichen Aufzeichnungen seiner Freunde.
Die gesellige, gelehrte, freundschaftliche und literarische Korrespondenz im nord- und mitteldeutschen Raum der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Konzentration auf den Zusammenhang von Bild, Buch und Brief ist hier – wie in keinem anderen Haus dieser Art – gebündelt überliefert.
Gleims zu großen Teilen erhaltene Büchersammlung gilt als eine der größten bürgerlichen Privatbibliotheken des 18. Jahrhunderts. Sie umfasst ca. 12 000 Bände, darunter über 50 Inkunabeln, ca. 800 Titel des 16. Jahrhunderts, ca. 1200 des 17. Jahrhunderts. Der größte Teil stammt aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert, darunter zahlreiche Widmungsexemplare. Die Bibliothek hat ihren Schwerpunkt in der europäischen Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und enthält daneben größere Bestände zu Literatur- und Kunstgeschichte, Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte sowie Naturwissenschaft vorzugsweise des 18. Jahrhunderts.
Diese Sammlungen sind der größte geschlossene Dichternachlass des 18. Jahrhunderts am historischen Ort in der ursprünglichen Sammlungskonzeption und können als das erste deutsche Literaturarchiv angesehen werden. Die Porträtsammlung sowie das Briefarchiv sind über die Homepage des Gleimhauses recherchierbar.